Copyright © 2014 by Mag. Peter Csar Laird of Glencairn, all rights
reserved
Contact: Autor
URL 1: Mysterious Scotland
Diesig
dumpf hing der Nebel. Aus schleichenden Schwaden troff feines Nieseln.
Aufgeweichter Moorgrund schwappte und gurgelte. Eine trostlose, feuchtkalte
Öde badete in den stummen Tränen der längst hereingebrochenen
Nacht.
Ein
Tag neigte sich seinem Ende zu. Es war ein Tag im Spätherbst gewesen
- einer dieser trüben Regentage, an dem kaum Licht zum Erdboden herabgedrungen
war. Ein Tag, der seinem finsteren Gegenpart ähnlicher gewesen war
als Seinesgleichen.
Westwind
war aufgekommen. Seine unsichtbaren Finger strichen durch totes Gebüsch.
Sie zerrten und zupften, wirbelten moderndes Laub empor. Im bunten Reigen
zog das faulende Blattwerk groteske Bahnen, und so manches entwurzelte
Gewächs kollidierte raschelnd mit jenem einsamen Hochkreuz, dem Dominator
dieses gemiedenen Niemandslandes. An die vier Meter war es wohl hoch und
ruhte auf einem festen Fundament aus schweren Quadern. Mausgrau war der
Block aus archaischem Gestein, der sich so würdevoll seiner düsteren
Umgebung anpaßte. Mausgrau war auch der mit Flechtwerk reich ornamentierte
Kopf, der das keltische Zeichen Christi versinnbildlichte - die runde Keltenscheibe,
aus der heraus die mächtigen Balken des Kreuzes zu den Seiten und
nach oben drängten. Kreuz und Sonne - die vollkommene Synthese von
Christen- und uraltem Heidentum.
Es
war eine seichte Mulde zwischen schmatzenden Morastlöchern, die dieser
stumme Gedenkstein beherrschte. Fernab von allen sicheren Wegen zur Festung
von Dumbarton stand er an einem Ort, an dem ein einsamer, nasser Graspfad
sein Ende fand.
Zwanzig
Jahre etwa thronte er schon hier, erhaben und erfüllt von lebendiger
Symbolik. Eine Bekundung drückte er aus - die des immerwährenden
Gedenkens und der tiefen Trauer um einen unersetzlichen Verlust. Die begnadetsten
Steinmetze des scotischen Königshauses hatten ihn in monatelanger
mühsamer Arbeit gefertigt, damit er Ewigkeiten trotzen könne.
Denn so lange sollte der Ruhm und das Andenken an denjenigen glorifiziert
werden, den hier in diesen toten Hügeln ein unergründliches Schicksal
ereilt hatte.
'Niemals
wird er wiederkehren!'
So
lautete die befremdende, in Stein gemeißelte Aussage dieses Hochkreuzes,
verdeutlicht durch schlichte Kerben des nordischen Oghamalphabets. Kein
Name, kein Begebnis! Nur diese schlichte, eigenartige Bezeigung immensen
Kummers - wußte doch in jenen längst vergessenen Tagen jedermann
in Dalriata, wem sie galt.
Ein
Ort war dieser, an dem sich im Laufe der Jahre so mancher Pilger hilfesuchend
eingefunden hatte, denn es rotierte ein hartnäckiges Gerücht
im Königreich. Man hatte zunächst hinter hohler Hand von rätselhaften
Heilungen gemunkelt, die sich am Fuß des Hochkreuzes ereignet hätten.
Blinde hätten ihr Augenlicht wiedergefunden, als sie die Lider mit
dem Morgentau benetzten, dessen Tropfen sich in den Kerben der Inschrift
gesammelt hatten. Todkranke wären heil und gesund angetroffen worden,
nachdem man sie eine eisige
Nacht
lang allein am Fuß des Kolosses belassen hatte. Unfruchtbare Frauen
wären nach ihrer Wallfahrt schwanger geworden und hätten reiche
Niederkunft erfahren. Also war da kaum einer unter den Gläubigen,
dem hier nicht auf mysteriöse Weise geholfen worden wäre.
So
erzählten die einen von unheimlichen Irrlichtern im Moor, die sich
ihnen unstet tänzelnd genähert hätten und mit dem Atem in
ihre Körper eingedrungen wären. Sie, so schworen die wundersam
Genesenen bei ihrem Seelenheil, hätten Gottes Werk in ihrem Inneren
getan und wären durch die Nase wieder entwichen. Andere dagegen berichteten
von geheimnisvollen Gesängen um sie, die ihnen Schauder tiefer Ehrfurcht
und Verzückung bereitet hätten. Phantasische Schilderungen über
das rätselhafte Auftauchen und Verschwinden zauberhafter, strahlendweißer
Blumenwiesen, in denen gegen Mitternacht kleine, grazile Gestalten umhergehüpft
seien, vervollständigten diese märchenhaften Darstellungen.
Und
dennoch! Es war auch ein Ort, um den wohl viele einen großen Bogen
machten - und nicht nur wegen des tückischen Sumpfes! Wolfsrudel und
allerhand anderes, geiferndes Getier trieben nachts ihr lauerndes Unwesen
in diesen nackten Hügeln. Ganz zu schweigen von jenen heimtückischen
Schattenwesen, die nächtliche Wanderer in den nassen Tod lockten und
funkelnden Spukerscheinungen, die Wagemutige in den blanken Wahnsinn trieben.
Auch rumorte das Geraune, daß schuldige Verbrecher, hier sich selbst
überlassen, durch jene Auswüchse der Nacht ihre gerechte Strafe
finden würden, und so überantwortete man so manches Diebes- oder
Mörderpack an diesem Ort gefesselt seinem Schicksal. Und so genoß
die Basis des Hochkreuzes nebstbei auch den Ruf eines weithin gefürchteten
Exekutionsplatzes für Gottesurteile - heidnischer Rest eines an sich
christianisierten Volkes von Dalriata. Als unschuldig galt, wen die Henkersknechte
am Morgen lebendig vorfanden.
Viele
hatten versucht, die Bewandtnis dieser unerklärlichen Heilungen und
Todesfälle zu ergründen. Sie mußten sich mit einer schaurigen
aber ergebnislosen Nacht im Freien begnügen, belagert von den funkensprühenden
Augen der Wölfe. Doch man wußte eines: Es wirkte hier freilich
derjenige, zu dessen Ehrgedenken dieses Kreuz errichtet worden war. War
es wohl falsch, was da in Stein gemeißelt stand - 'Niemals wird er
wiederkehren!' ...?
Es
geschah nach Einbruch der Dämmerung an einem jener trüben Regentage
im Spätherbst, an dem kaum Licht zum Erdboden durchgedrungen war.
Wind war aufgekommen, und wieder einmal hing diesig dumpf der Nachtnebel
über dem verlassenen Hochkreuz. Das abgestoßene Blattwerk der
kargen Laubbäume wirbelte darum herum, und ein einsamer Wolf klagte
draußen im Moor mit einem schwermütigen Käuzchen um die
Wette. Rauschend, säuselnd, lispelnd, gurgelnd und schmatzend trotzten
die Laute der Natur der dem Ort innewohnenden, erhabenen Stille.
Und
hätte sich ein später Wanderer hierher verirrt, er hätte
nur diesen Geräuschen gelauscht, die ohne Falsch waren. Worauf sonst
wohl hätte er geachtet - hier, inmitten des lauernden, nassen Verderbens?
Vielleicht auf jene leisen, seltsam wehmütigen Klänge, auf jene
über den Wasserlöchern züngelnden Irrlichter? Nein, der
Wissende wäre ihnen aus dem Weg gegangen, um nicht Opfer ihres trügerischen
Scheins zu werden. Möglich, es hätte eine gedrungene, bucklige
Gestalt seine Aufmerksamkeit erregt, die da zusammengekauert am Fuß
des Hochkreuzes von Dumbarton hockte und dessen Schaft umklammerte. Möglich,
daß es so gewesen wäre - allein! Es gab ihn nicht, diesen nächtlichen
Zeugen, und das war wohl auch gut so!
"Brude!
Brude! Kehr um!"
Das
verkrüppelte Wesen im Schatten des Kreuzes erschrak und stob hoch.
Schemenhaft glitt es ziellos im Kreis umher. Die Hände abwehrend erhoben
starrte es ins Moor hinaus.
"Brude!
Wir sind deine Heimat, deine Familie! Kehr um!"
Über
dem öden Gelände wallte kühler Nebeldunst. Farbenfrohe Irrlichter
tanzten, bewegten sich anmutig auf den Buckligen zu. Sphärisches Gefunkel
umspielte bald die fluchtbereite Kreatur, doch in ihr wogte Finsternis
und Furcht. Er hatte gehofft - eine trügerische Illusion! Unbemerktes
Entfliehen schien mißlungen! Was tun? Was tun?
"Einmal
schon hat man dich gedemütigt, Brude! Behaftet bist du mit Schmach!
Laß sie uns tilgen! Bleib bei uns!"
Die
gebückte Figur aber zog weiterhin ihre wirren Bahnen, warf die krummen
Arme über den runzeligen Kopf, suchte verzweifelt nach einem Ausweg.
Schlohweiße Haare wirbelten, als wären sie Teil der zähen
Schwaden, die tückisch rund um das gewaltige Hochkreuz schlichen.
"Dareinst
bist du gekommen und hast nach uns gerufen, Brude! Und auch wir sind gekommen,
wie wir versprachen. Blick nicht zurück, Brude! Niemals darfst du
zurückkehren!"
"...
zurück will ich ... zurück ..."
Wie
toll trugen die viel zu kurzen Beine den ausgemergelten Körper über
braunverbranntes Gras viel zu dicht an einem gähnenden Morastpfuhl
vorüber.
"...
zurück ... wieder zurück ..."
"Brude!
Brude! Sie werden dich peitschen! Sie werden dich an den Pranger stellen,
dich verhöhnen! Wir aber lieben dich, wollen deine Schmerzen lindern!
Bist du doch einer von uns, Brude! Von uns! Vergiß das nicht!"
"Dalriata!
Wieder zurück ... kann nicht bleiben ..."
Auf
einer kleinen Anhöhe erst ließ sich der Bucklige erschöpft
zu Boden sinken.
"Dubh
Mor! Dubh Mor!"
Flehentlich
schweifte sein glasiger Blick über das öde Land hin zu jenem
mächtigen Felsblock, der umrißhaft den Horizont begrenzte. Einzeln
flackernde Lichter auf den Mauern der Festung, leises Rauschen des nahen
Baches, ein säuselndes Wiegen einzelner, kahler Baumwipfel.
"Dalriata
... Dubh Mor ... Fleisch
und Blut ... Blut ..."
"Brude!
Brude! Zweimal haben wir dich erhört, und nur noch einmal darfst du
rufen! Vergiß, Brude! Im Vergessen allein liegt dein Heil!"
"...
kann nicht ... mag nicht vergessen ... Dubh
Mor! Dubh Mor!"
Wie
das Klagen aus dem Rachen eines todwunden Wolfs drang dieses markerschütternde
Gestammel immer und immer wieder über seine sabbernden Lippen. Sein
Blick haftete am nebelverhangenen Burghügel. Traurig war er, dieser
Blick - unsagbar traurig und erfüllt von tiefer, jammervoller Sehnsucht.
"Mein
Fleisch und Blut ... Dubh
Mor! Dubh Mor!"
"Brude!
Brude! Ein letztes Mal laß dich beschwören! Hohn und Drangsal
wirst du ernten! Kehr um! Nur noch einmal darfst du rufen!"
"Nein!
Nein! Laßt mich gehen! Dubh
Mor! Dubh Mor!"
Der
Bucklige rappelte sich panisch hoch, stolperte den Hang hinab, strauchelte.
Fahrige Finger suchten Halt in taufeuchten Büscheln toter Halme. Von
unglaublicher Willenskraft beflügelt, stemmte sich ein geplagter Körper
auf seine klapprigen Beine, einer deformierten Kugel ähnlicher als
Menschengestalt.
"Muß
gehen ... Dubh Mor ... wartet ..."
"Brude!
Niemand wartet und nimmer werden sie dir glauben! Dalriata - es ist nicht
länger deine Welt! Brude! Laß ab davon! Laß ab!"
"Dubh
Mor ... muß glauben. Alle glauben! ... Verzweiflung ... tut so weh
...!"
Und
der Greis weinte still. Bittere Tränen waren es, die da über
die zerknitterten Wangen strömten. Ja, bitter vergoß er sie
und salzig bitter benetzten sie die langen, knöchernen Finger, die
sie verstohlen fortwischten.
"...
verstehen müssen ... glauben müssen ..."
"Brude!
Brude ...!"
"Ich
gehe ... sie glauben ... Weg! Fort mit euch!"
Ein
kleiner Gegenstand schmorte in der geballten Faust. Ein winziges Kästchen
war es, tränennaß und funkelnd wie jene Irrlichter, die ihn
umzingelten. Wirre, ausdruckslose Augen stierten danach - nach jener Schatulle,
die da spöttisch hervorlugte.
"Nein
- nicht gestohlen, nicht gefunden ... ist meines! Sie müssen mir glauben
..."
"Brude!
Brude!"
Doch
der Alte nahm die warnenden Stimmen um ihn nicht mehr wahr.
Sein
Entschluß war schon lange zuvor gefaßt. Den Buckel über
den Kopf erhöht, trollte er sich durch die Flämmchenmauer hindurch.
Und fort humpelte er; weg aus dem magischen Zirkel des Hochkreuzes, hin,
der mächtigen, gespaltenen Bergkuppel von Dumbarton entgegen.
Im
Schatten des steinernen Giganten ergriffen sie ihn. Sie ergriffen ihn unter
schallendem Hohngelächter, zerrten an seinem morschen Wams, bis es
zerbarst. Sehnige Finger umfaßten die spindeldürren Arme, warfen
ihn in den feuchten Staub der engen Esplanade. Derbe Taue schnitten alsbald
in seine Handgelenke, ein ekeliger Knebel verpfropfte den zahnlosen Mund
und würgte den Wimmernden.
"Sei
uns aufs Neue gegrüßt, Großkönig von Dalriata!",
drang es lästernd aus heiseren Kehlen.
"Du
kehrst also abermals zurück in die Burg deiner Väter? Wohlan!
So laß dich ein zweites Mal verwöhnen von der Gastfreundschaft
deines unwürdigen Statthalters! Viele Annehmlichkeiten hat er noch
zu bieten!"
Und
vornwärts trieben sie den Hilflosen, den zweihundertundfünfzig
Stufen entgegen, die zum White Tower hinaufführten. Eingehakt hatten
sie sich, auf daß ihr todmüder Gast nicht strauchle, trugen
ihn eher als sie ihn führten.
Hindurch
ging es durch das enge Felsentor und weiter im unregelmäßigen
Trab die gerade Steintreppe nach oben. Nachtschwärze umgab sie hier
im düsteren Spalt des durchbrochenen Burgfelsens - und doch waren
sie unter freiem Himmel. Sie strebten den Fackeln zu, die ihnen dort droben
am nächsten Tor entgegenleuchteten.
"Wen
bringt ihr da?"
Eine
Wache versperrte ihnen breitbeinig den Zutritt zum Gefechtsplatz auf halber
Felshöhe.
"Es
ist der Bucklige!", rief einer der Peiniger.
"Er
ist zurückgekehrt!"
"Der
Bucklige ist zurückgekehrt?"
Verblüfft
trat der Posten aus dem Weg und ließ die beiden Hünen mit ihrer
erbärmlichen Fracht passieren.
"Er
hat es tatsächlich gewagt?"
"Der
Teufel selbst muß ihn geritten haben!", war die zynische Antwort
im Vorübereilen.
"Er
soll bekommen, was ihm zusteht! Dubh Mor wird ihn lehren, mit seinem Großmut
zu spaßen! Brude, der verschollene Großkönig von Dalriata
kehrt zurück als lächerlicher Krüppel! Pah!"
Und
weiter zerrten sie ihn, den sie voll Spott Großkönig nannten.
Nackte Füße taumelten über Stock und Stein, zerschunden
von zackig messerscharfen Kanten unzähliger Steinstufen. Längst
waren die Beine erlahmt. Teilnahmslos schleiften sie über den rauhen
Kies des unteren Burghofs im finsteren Herzen des Trichters zwischen den
beiden kuppelförmigen Spitzen des Burgberges. Aus elenden Hütten
starrten ungläubige Gesichter da und dort. Man gaffte, konnte zunächst
nicht glauben, was und wen man da wiedersah, raunte, hub schließlich
an zu grölen und zu lästern.
"Der
Großkönig von Dalriata ist zurückgekehrt! Er ist wahrhaftig
von den Toten auferstanden! Huldigt ihm! Huldigt ihm für all die Wunder,
die er an seinem Volk vollbracht hat!"
Und
wer von den Zaungästen des nächtlichen Spektakels seinen jeweiligen
Standort verlassen durfte, tat es hohntriefend und tänzelte hinterdrein,
der nächsten und letzten Stufenreihe entgegen.
Gewunden
führte sie am schwindelnden Abgrund entlang. An den nackten Fels geschmiegt
umrundete sie auf ihrem Weg zum Turm den sich nach oben hin verjüngenden
Gipfel des steinernen Kolosses von Dumbarton.
Weitere
Wachen traten nun der merkwürdigen Prozession entgegen. Fauchende
Fackeln, die Feuer vom Wind unbarmherzig zerpflückt, versperrten den
offenen Zugang der freistehenden Festung, die wie ein gigantischer Zeigefinger
in den wolkenverhangenen Nachthimmel wies.
"Halt!
Wer begehrt Einlaß?"
"Brude
ist zurückgekehrt! Der Großkönig beansprucht sein Reich!",
johlte die Menge.
"Er
verlangt nach Dubh Mor! Dubh
Mor! Dubh Mor! Gib Acht!
Dein Thron ist verloren! Dein Thron ..."
Jäh
verstummte der Pöbel, als sich eine mächtige Gestalt aus der
Finsternis des Turmeingangs schälte.
"Was
ruft ihr da, ihr tollen Hunde?"
Dubh
Mor schritt lauernd einige Stufen herab, stieß seine Wachen derb
zur Seite und baute sich drohend vor dem in sich zusammengesunkenen Alten
auf. Nadelspitzen durchdrangen den schlaffen Körper, als sein stechender
Blick daran zu ruhen kam.
"Der
Bucklige ...!"
Seine
Stimme schien plötzlich brüchig. Verwirrtes Erstaunen lähmte
sie zunächst. Jäh hervorquellende, rasende Wut im darauffolgenden
Moment löste jedoch abrupt die zwingende Fessel der Sprachlosigkeit.
"Diese
Wanze an meinem Busen ...!"
Riesige
Pranken legten sich um den gedörrten Hals des Alten, bereit, das letzte
Quentchen Leben aus dem geschundenen Leib zu pressen. Doch sie umfaßten
ihn nur, drückten nicht. Als hindere ihn eine unsichtbare Macht daran,
ließ Dubh Mor schließlich zornbebend die Arme sinken.
"Satan
selbst muß in dich gefahren sein, alter Narr! Erinnerst du dich noch
an die Worte deines Königs, die dir befahlen, niemals wieder zurückzukehren?"
Stummes
Nicken. Unendlich langsam hob sich das greise Haupt. Todmüde, bittende
Augen erwiderten unsagbar traurig den grimmigen Blick des Herrschers.
"Irrwitzig
mußt du sein fürwahr!", murmelte Dubh Mor tonlos.
"Ich
versprach dir den Tod und dennoch! Du bist zurückgekehrt! Soll sich
der König von Dalriata mit deinem stinkenden Blut besudeln? Was meinst
du, Alter? Soll ich es tun? Rate mir! Du, der du behauptest, mein Vater
zu sein! Gib mir deinen väterlichen Rat! Soll ich dich eigenhändig
vom Felsen stoßen? Oder soll ich dich den Wölfen an der Burgmauer
überlassen? Du bringst mich in Verlegenheit, Alter! Und das vor versammeltem
Volk!"
"Dubh
Mor! Glauben! Mußt glauben!"
Demütig
kniete der Bucklige vor Dubh Mors hochaufragender Gestalt.
"...
Der Beweis ... Sohn ... sieh ... der Beweis ..."
"Beweisen?"
Jäh
stutzte Dubh Mor. Seine hohe Stirn legte sich prüfend in Falten, die
gebleckten Zähne verschwanden hinter dem wüsten, kohlschwarzen
Vollbart. Kaum hatte sich leises Gemurmel in den Reihen der Schaulustigen
entwickelt, da gebot er frostig Einhalt.
"Nun
gut! Hebt ihn hoch!", befahl er barsch.
"Es
ist Brauch und Sitte, Todgeweihten einen letzten Wunsch zu erfüllen.
Wohlan, alter Mann! Versuche es! Führe deinen Beweis! Laß also
sehen, was dich als König von Dalriata ausweist!"
Auf
seine wackeligen Beine gehoben, taumelte der Greis kraftlos umher, während
er fahrig im Säckel seines zerborstenen Wamses kramte.
"...
Beweis ... das Siegel ... mein Siegel ... mein Sohn ...!"
Scheppernd
fiel ein glitzernder Gegenstand auf eine der nackten Steinstufen. Dubh
Mor bückte sich erstaunt danach und prüfte ihn argwöhnisch
im Lichte der lodernden Fackeln. Jäh verhärtete sich seine Miene.
"Die
Siegelschatulle meines Vaters Brude!", stammelte er fassungslos und starrte
wie hypnotisiert auf den funkelnden Prunk kostbarer Kleinode.
"Ja,
wahrhaftig! Sie ist es! Verschollen war sie mit ihm!"
"Dubh
Mor ... Sohn ... glaubst du nun ..."
"Woher
hast du den kostbarsten Schatz unseres Geschlechts? Wo hast du ihn gestohlen?"
Dubh
Mor ergriff den Wimmernden und streckte ihn mit einem mächtigen Hieb
zu Boden.
"Nicht
gestohlen, nicht gefunden ... ist meines ... glaube mir ... Sohn ...!"
Ein
brutaler Fußtritt gegen den Buckel entlockte dem Gequältendumpfes
Stöhnen.
"Warst
du es, der meinen geliebten Vater auf der Jagd ermordet hat? Sag mir, Alter!
Warst du es, der seinen Leichnam verscharrt hat? Du warst es doch, der
sein blutendes Opfer noch beraubte! Gestehe, Mordgesindel, deine ruchlose
Tat! Du hast deinen König in einen Hinterhalt gelockt und ihn kaltblütig
getötet, als er in den Hügeln jagte! Gestehe, Schuft! Oder ich
trenne dir mit eigener Hand deinen widerlichen Buckel vom Leib!"
"...
Sohn ... glaube mir ..."
"Du
willst also nicht gestehen?", schrie Dubh Mor haltlos im Zorn.
"So
nimm dies als Beweis meines abgrundtiefen Hasses!"
Surrend
fuhr ein Schwert aus seiner Scheide, und der Bucklige vernahm es wohl.
"...
Sohn ... das Siegel ... ist meines ...!"
Derbe
Hände rollten ihn auf den Bauch. Eine scharfe Schneide durchtrennte
das Wams und schnitt sich ihren Weg tief hinein in den häßlichen
Wulst, der sich ihr entgegenstreckte.
"Willst
du nun deine Übeltat gestehen, Schurke?"
"Dubh
Mor ... aaah!"
Immer
tiefer drang das Eisen durch den Buckel. Eine abscheuliche Schicht aus
Blutklumpen und abgeschabten Knochen hob sich ab. Der Schmerz raubte jeden
Funken Bewußtsein. Schlaff glitt das schlohweiße Haupt zur
Seite.
Unbefriedigt
zog Dubh Mor das Schwert aus der klaffenden Wunde.
"Er
hat es gewagt, sich mir abermals zu widersetzen!", murmelte er in purem
Zorn.
"Doch
was nützt ihm seine Verstocktheit, seine Lügen? Hinab mit ihm!
Seine Anwesenheit beleidigt das Andenken meines teuren Vaters! Schafft
ihn hinunter zum Hochkreuz, wo er seine Bluttat begangen hat! Dort soll
er seine gerechte Strafe empfangen!"
Regen
prasselte trostlos herab, als man den Buckligen an den Schaft des riesigen
Keltenkreuzes legte. Nicht mehr als ein Stapel verwesenden Fleisches lagerte
man ab - eine Masse, in deren Innerem nur noch viel zu zarte Herzschläge
dem hilflosen Erlöschen des Lebens entgegenwirkten.
"Was
soll mit ihm geschehen, Herr?", schnarrte eine der Wachen.
Dubh
Mor trat vor den Geschändeten hin und blickte gedankenverloren auf
ihn hinab.
"Selbst
die Klinge meines Schwertes reichte nicht aus, um diesem Tropf ein Geständnis
zu entreißen. Wohlan! Überlassen wir ihn der Gnade oder der
Rache seines Opfers, dem dieser Ort gewidmet ist. Morgen früh werden
wir sehen, ob die Wölfe seinen Leib zerrissen haben oder ..."
Er
unterbrach sich nachdenklich und beugte sich noch einmal zu dem Besinnungslosen
hinab.
"...
oder ob er die Wahrheit gesprochen hat.", fügte er schließlich
stirnrunzelnd hinzu.
"Herr!
Ihr zweifelt?", rief da ein bärtiger Hüne und blickte ihn verblüfft
an.
"Das
Gottesurteil wird es ans Licht bringen!", entgegnete Dubh Mor knapp.
"Bindet
ihn und überläßt ihn den Wölfen! Nicht mehr als ein
Happen ist es. Sie werden hungrig sein, wenn sie ihr karges Mahl beendet
haben. Und sollten sie sich ekeln und ihn verschmähen, so werden sich
die Würmer um ihn kümmern."
Kühne
Worte waren es, die der König von Dalriata da gesprochen hatte, und
doch ahnten die Versammelten den Kloß, der seine Kehle würgte.
Betreten senkten sie die Häupter, während sich Dubh Mor auf den
Rücken seines Rosses schwang. Forsch gab er ihm die Sporen und jagte
zum Burghügel zurück.
Als
er jedoch am folgenden Morgen mit Zeugen wiederkehrte, um seine nagenden
Zweifel zu verwerfen, fand er den Ort des Hochkreuzes leer. Spurlos war
der Greis verschwunden, als hätte der Erdboden ihn verschluckt. Der
Großkönig von Dalriata war wohl zu Seinesgleichen heimgegangen,
denn noch einmal hatte er rufen dürfen.
Und
niemals wird er wiederkehren ...